Mehr als 40 Jahre fanden Besucher anstelle der kunstvollen Glasgemälde einfache Blankverglasung in den Fensternischen des Kirchenschiffs. Bei der umfangreichen Kirchensanierung 1971/72 waren die Bleiglasfenster ausgebaut worden. Damals wünschte man mehr Licht im Kircheninnern. „Gemäß dem Empfinden der Zeit wurde die Kirche damals leer geräumt,“ erklärt der Wittichenauer Kaplan Daniel Laske. „Die Gläubigen wünschten sich für ihre Gotteshäuser eine schlichte und nüchterne Einrichtung.“
Die Fenster gerieten in Vergessenheit. 1998 restaurierte eine Dresdener Kunstglaserei die zwei im Altarraum der Kirche verbliebenen Rüther-Fenster "Herz Jesu" und "Herz Mariä". Zu dieser Zeit kamen auch die bis dahin in der Kirchengemeinde verwahrten Fenster zur Einlagerung in die Werkstatt nach Dresden.
Akribische Recherchen machen Wiederherstellung verschollener Fenster möglich
Elf Jahre später lässt die Wittichenauer Kirchengemeinde ihre Pfarrkirche sanieren. Das Dach wird neu gedeckt, das Kirchenschiff neu verputzt und grau-weiß gestrichen. In Dresden bestellt man eine Bestandsaufnahme der eingelagerten Fenster. Ergebnis: Die einst auf der Nordseite der Pfarrkirche eingebauten Fenster fehlen. Lediglich vom Elisabeth-Fenster ist noch der von Hubert Rüther angefertigte Entwurf vorhanden.
Was folgt, vergleicht der Wittichenauer Pfarrer Wolfgang Křesák mit einer „kleinen Kriminalgeschichte“. Wo sind die verschollenen Fenster geblieben? Gerüchte machen die Runde. Wurden die Fenster einem afrikanischen Bischof, der in den neunziger Jahren in Wittichenau die Firmung spendete, als Geschenk mitgegeben? Der heute über 80-jährige Bischof kann sich an keine Fenster erinnern. In den Städtischen Sammlungen Freital werden originale Tuscheentwürfe von Hubert Rüther für die Wittichenauer Fenster entdeckt. Rüthers Frau Irena hatte sie dem Museum vor ihrem Tod 1979 überlassen. Die Wittichenauer Pfarrgemeinde kauft die Skizzen in Originalmaßstab auf. Dr. Jürgen Heidan, der die Sanierungsarbeiten an der Pfarrkirche als Bauingenieur betreut, kann in einer Dresdener Kunstgalerie außerdem mehrere Farbaquarelle der Fenster ersteigern. Mithilfe dieser Unterlagen wird die Rekonstruktion der verschollenen Fenster möglich.
Das Ziel der Restaurierung: Soviel im Originalzustand erhalten, wie möglich
Im Februar 2011 beauftragt die Pfarrgemeinde die Glaskunst-Werkstatt Buhlig aus Schwarzenberg die erhaltenen Fenster aufzuarbeiten und die fehlenden zu rekonstruieren. In nur anderthalb Jahren werden alle Bleiglasfenster wieder in die Kirche eingesetzt, zugemauerte Fenster wieder freigelegt. „Wir hätten nicht gedacht, dass wir den Wiedereinbau so schnell schaffen“, bekennt Heidan, der sich auch im Kirchenvorstand der Wittichenauer Pfarrgemeinde engagiert. Man sei davon ausgegangen, dass die Restaurierung über viele Jahre nur nach und nach möglich wäre. Doch durch eine Förderung durch Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Ostsächsische Sparkasse Dresden, sowie durch die große Spendenbereitschaft der Gemeindemitglieder lassen sich die Fenster in einem Zug wieder ins Kirchenschiff einsetzen.
Erst bei der intensiven Auseinandersetzung mit den Werken Rüthers sei dem Kirchenvorstand bewusst geworden, welchen kunsthistorischen Wert die Fenster besitzen. „Es ist etwas Besonderes, dass Hubert Rüther nicht nur die Entwürfe für die Fenster anfertigte, sondern selbst an der Fenstergestaltung mitgewirkt hat“, erklärt Jürgen Heidan. „Deshalb war uns der Erhalt der Originale wichtiger, als kaputte Fensterteile austauschen zu lassen.“ So wurden auch zerbrochene Gläser wieder eingesetzt. Das instabile Bleinetz, das den Zusammenhalt der einzelnen Felder gefährdete, wurde entgegen erster Überlegungen nicht ausgetauscht, sondern stabilisiert und erhalten. Mit dem Wissen um den Wert der Fenster entschied sich die Kirchengemeinde außerdem für eine zusätzliche Schutzverglasung.
Musterbeispiel für Erhalt wertvoller Glasmalerei
Weil Rüthers Werk aufgrund starker Repressalien durch die Nationalsozialisten relativ klein blieb, gelten die Fenster auch dem Kunsthistoriker Dr. Erhard Drachenberg besonders schützenswert. Rüther war als Glasmaler seiner Zeit „expressiven und linienbetonten sowie farbig variationsreichen Gestaltungen verpflichtet. Oft sind bei ihm große Vorlieben für Feinheiten im Detail zu entdecken, die sich in der Weitsicht zu einem ausgewogenen Ganzen zusammenschließen“, schreibt der Sachverständige für Glasmalerei in seinem Gutachten. Drachenberg würdigt die Sanierung der Fenster als „Musterbeispiel für die Wiedergewinnung eines schon fast verlorenen, historischen Glasmalereibestandes“.
> Zu einer Erläuterung der Symbolik auf den Glasgemälden durch Hubert Rüther